Rede beim Picknick in der Einflugschneise

25. August 2002

Liebe Offenbacher,

Im April 1998, also vor mehr als vier Jahren, hatte sich in Frankfurt ein Kreis einflußreicher Persönlichkeiten versammelt, um einem Vortrag des Vorstandsvorsitzenden der Lufthansa, Jürgen Weber, zu lauschen. Weber referierte über die Zukunft des Luftverkehrs und er bezog seine Argument aus dem Jahrzehnt überschäumender Zukunftserwartungen an den internationalen Börsen. Alles sei in den letzten Jahren gewachsen, die Wirtschaft, der Güterverkehr, die Anzahl der Fluggäste. Das gehe immer so weiter mindestens in 5 Prozent Schritten pro Jahr - also brauche die Lufthansa einen Ausbau ihrer zentralen Basis, des Frankfurter Flughafens.

Am Ende des Vortrags wurde dies und jenes gefragt - z. B. ob denn die business class so sehr viel teurer sein müsse als die economy class oder ob denn die Piloten genug verdienen würden.
Nur ein einziger, ein führender Repräsentant einer großen Zeitung im Rhein-Main-Gebiet stellte die Frage, was denn dies für die Lebensqualität in der Region bedeuten würde. Ohne zu zögern, log der oberste Angestellte der Staats AG dem Fragenden ins Gesicht: Die Flugzeuge würden in Zukunft "noch leiser".
Man beachte die Wortwahl ... "noch leiser". Wie in George Orwells Weltklassiker "1984" Krieg Frieden ist, so bei Jürgen Weber Lärm Stille und die Stille werde bei wachsendem Flugverkehr noch größer.

Daß der Flugverkehr über Offenbach und über der gesamten Region wenigstens ein wenig leiser werde, darauf warte ich nunmehr seit fast fünf Jahren noch immer vergeblich.

Statt dessen ist er nicht nur nicht leiser geworden, er nahm sogar in dem Zeitraum permanent zu. Er überdeckt seit den 80er Jahren stetig wachsend heute einen Großteil der südlichen Landesteile Hessens. Zwischen dem Taunuskamm und dem Odenwald, zwischen Mainz und Aschaffenburg gibt es keinen Flecken, der nicht in der einen oder anderen Form vom Flugverkehr betroffen wäre. In diesem Raum leben zwei Drittel der hessischen Bevölkerung fast 4 Millionen Menschen. Noch mehr, jeder kann sehen: Das Rhein-Main-Gebiet ist Zuzugsgebiet. Überall wachsen Neubaugebiete, rücken die Gemeinden immer dichter aneinander. Um Frankfurt herum haben sich bereits breite suburbane Siedlungsgürtel gebildet. Hier arbeiten, wohnen, leben Menschen ... und mittendrin faktisch im Zentrum dieser zukünftigen Rhein-Main-Metropole liegt der Flughafen.

Die Frage, die auf dem Treffen im April 1998 an Jürgen Weber gestellt worden war, ist also recht einfach zu beantworten: die steigenden Lärmbelastungen in der Region kollidieren mit dem Siedlungstrend: Flughafenausbau und das Wohl von Millionen befinden sich auf Kollisionskurs.

Der Flugverkehr hat diese Region bereits heute weitflächig verwüstet. Stille gibt es nur noch, wenn man - wie es Weber tat - Fluglärm zur Stille erklärt ... die Flugzeuge werden "noch leiser".

Den Kreis der Frankfurter Persönlichkeiten hat dieser Trick aus der PR - Abteilung von Lufthansa nicht weiter gestört. Von dort aus nahm der Eroberungszug gegen die kritische öffentliche Meinung ihren Anfang.

Als erstes wurde die damalige "rot-grüne" Landesregierung bestimmt aufgefordert, ein Mediationsverfahren in Gang zu setzen. Natürlich kein echtes, mit einem neutralen Mediator an der Spitze, auf den sich die Konfliktparteien - die Bürger und die Lufthansa - einigen. Nein es sollte eine "Frankfurter Mediaton" sein, unter der Leitung eines Flugverkehrsunternehmers und Ausbauberaters von Fraport - dem Präsidenten der IHK Frankfurt Frank Niethammer. Der suchte sich willfährige Mitmediatoren in der Politik und bei den ausbauwilligen Flugverkehrsunternehmen und ihrer Lobby. Nachdem die 2/3 Mehrheit sicher gestellt war, durften auch ein paar Kommunen mitspielen ... ganz am Schluß die Stadt Offenbach. Herr Kappus hat uns letztes Jahr in beeindruckenden Worten geschildert, was er dort erlebt hat.

Heraus kam 2 Jahre später der Mediationsbericht, der zu 99 Prozent den Forderungen Webers entsprach. Das eine Prozent, das ihm fehlt, also die Forderung nach einem Nachtflugverbot, attackiert er seitdem heftig.

Dieses Mediationsergebnis mit seiner Befürwortung des Ausbaus erzielte leider die gewünschte Wirkung. Es bildete die Legitimation dafür, daß 95 Prozent der Landespolitiker das Ausbauvorhaben begrüßten. Weiterhin alle Wirtschaftsverbände, auch die Gewerkschaftsspitzen, und die oberen Gremien der Kirchen insbesondere der evangelischen Kirchen. Sie taten dies, ohne noch einmal die Frage nach der Lebensqualität in diesem Raum, in dem immer Menschen leben wollen, zu stellen.

Die Mediation und ihre Folgewirkung waren ein Lehrstück dafür, wie Lobbyisten eine öffentliche Meinung verbiegen.

Aber der Sieg war nicht vollkommen. Es sind ein paar Kritiker übriggeblieben. In den Kommunen, in den unteren Gremien der Parteien - aller Parteien - an der Basis der Gewerkschaften und der Kirchen und neben den Umweltverbänden wir die Bürger, die sich in über 60 Initiativen zusammengeschlossen haben, auch in Offenbach.

  • Obwohl es nicht sehr viele Menschen sind, die sich tatkräftig engagieren,
  • obwohl wir über keine PR Abteilungen und über viele Millionen schwere Etats für Werbekampagnen Anzeigen in den Zeitungen, Plakaten im öffentlichen Raum, Werbespots im Hörfunk oder im Fernsehen und im Kino verfügen,
  • obwohl uns die Politik wie die Kirchen im Stich ließen,
ist es uns doch gelungen die schlimmsten Verbiegungen der Mediation wieder gerade zu rücken. Wir taten dies alleine mit der Waffe des Wortes, dem Argument.
  • Wir waren die einzigen, die Zweifel an den Behauptungen zur wirtschaftlichen Entwicklung des Flugverkehrs hatten. Entgegen allen Analysten, Flugverkehrslobbyisten bestritten wir die 5 Prozent Wachstum pro Jahr. Die Entwicklung hat uns recht gegeben. Laut Mediation müßten wir jetzt bei ca. 540.000 Flugbewegungen pro Jahr sein. Es sind jedoch nicht einmal die 490.000 von 2001. Minus über 10 Prozent.
  • Wir hatten ebenso der Euphorie, die Fraport zum Börsengang verbreiten hat, nüchterne Zahlen entgegengesetzt und vorausgesagt, daß die Aktienkäufer viel Geld verlieren werden, und so kam es dann auch. Statt der zum Minimum erhobenen 46 Euro klebte der Aktienkurs im Juli letzten Jahres zuerst bei 34 Euro fest und ist dann auf nicht einmal der Hälfte des Erhofften abgesackt.
  • Wir bestritten das Bauernfängerargument, es entstünden 300.000 neue Arbeits-plätze in der Region. Wilhelm Bender, der Vorstandsvorsitzende von Fraport hat diesen Unsinn gestreut, die Presse, Funk und Fernsehen hat das brav verbreitet und die Landespolitik selig geglaubt. Die Mediation begutachtete dann nur noch knapp 70.000. Als ein seriöser Wirtschaftswissenschaftler befragt wurde, blieben sogar nur noch 20.000 übrig. Schließlich gab sogar Bender zu, daß unter Berücksichtigung, daß der Flughafenausbau ja auch Arbeitsplätze vernichtet, wie etwa in Raunheim/Caltex, nur noch eine große Null übrigbleibt. In der nächsten Zeit stehen Entlassungen bei Fraport an.
  • Kommunen und Bürgerinitiativen haben zudem zahllose Rechtsbedenken gesammelt und den rechtlichen Widerstand begonnen. Hier sind wir erst am Anfang.

In dem Maße wie die Seifenblasen der Mediation platzten nahm auch der Widerstand zu. Im März 1999 zur ersten Demonstration kamen 5.000 nach Frankfurt. Im Herbst 2000 nachdem die Komödie der Mediation beendet war, marschierten in Wiesbaden bereits 15.000, die 130.000 gesammelte Unterschriften übergaben. Am Raumordnungsverfahren beteiligten sich schließlich aus dem Stand heraus 40.000 Bürger und Bürgerinnen. Im gleichen Zeitraum schoß die Zahl der Fluglärmbeschwerden raketengleich von 5000 pro Jahr auf 300.000 hoch und dieses Jahr können es bis zu 1 Millionen werden.

Trotz der Erfolge sind wir, wir müssen das hier sagen, noch immer viel zu wenige. Denn all das, was bisher erreicht wurde, wird die Lufthansa, wird Fraport und die Riege der Ausbaubefürworter nicht daran hindern, weiterzumachen. Sie haben sich nicht beeindrucken lassen, als wir vor einem Jahr ein riesiges Zeichen setzten, und das größte Protesttransparent in der Geschichte Deutschlands entfalteten - was immerhin weltweit für Aufsehen sorgte.

Die Essenz von 40.000 Einwänden wurden in der Stellungnahme des Regierungspräsidenten kaum berücksichtigt und der Rest, dann mit dem Bleistift des Ministerpräsidenten ins Gegenteil umgeschrieben. George Orwell läßt grüßen.

Wir können deshalb nur appellieren. Lassen Sie diese Deformierung des politischen Systems hier im Lande Hessen durch ein einziges Wirtschaftsunternehmen nicht zu. Lassen Sie sich nicht von der Arbeit einer Werbeabteilung beeindrucken, die aus dem Lärm um uns herum ... ein "noch leiser" macht. Nehmen Sie die Argumente Ihrer Mitbürger zur Kenntnis und hören Sie auf, darauf zu vertrauen, daß andere das Problem für Sie lösen werden. Darauf kann sich nur Fraport und die Lufthansa verlassen. Für die rennen führende Kirchenrepräsentanten, die Riege der roten, schwarzen und blau-gelben Landespolitiker, sogar die Fußballer - wenn auch nur in der Zweiten Liga.

Engagieren Sie sich also. Jeder kann das sofort tun:

  1. Beschweren Sie sich über Fluglärm.
  2. Kommen Sie zur Großdemonstration am 19. Oktober hier in Offenbach
    "Bürgermacht gegen Geldgier und Flugwahn"
  3. Beteiligten Sie sich am Planfeststellungsverfahren - Sie haben Rechte! Nutzen sie Sie und besuchen Sie die öffentlichen Veranstaltungen und Treffen der Initiativen vor Ort.

Vielen Dank.

Stopp Fluglärm
OF - Offenbach ohne Fluglärm