Der Flugverkehr wird auf Jahrzehnte hinaus ein großes Risiko für die Sicherheit der westlichen Welt bleiben

Eine grundsätzliche Überlegung

Ralf Roth

Die Bundesregierung hat im Frühjahr und Sommer diesen Jahres ihren Entschluß bekräftigt, die deutschen Flughäfen und insbesondere den Flughafen Rhein-Main bei Frankfurt auszubauen. Sie wird in diesem Entschluß von der Landesregierung in Hessen unterstützt. Eine übergroße Mehrheit der Abgeordneten im Hessischen Landtag trägt dieses Votum mit. An diesem nahezu vollständigen Allparteienkonsens haben die Ereignisse am 11. September 2001 in New York nichts verändert. Als wäre nichts geschehen, wurde im November das Raumordnungsverfahren (ROV) eingeleitet, begeistert sich Hessens politische Elite immer mehr für Olympische Spiele und hält deswegen den Ausbau des Flughafens für noch notwendiger als bereits zuvor. Das ist erstaunlich und zeugt von einer gravierenden Verkennung der weltpolitischen Lage und der Konsequenzen für unsere Region. Das Raumordnungsverfahren gewinnt eine gewisse Bedeutung, weil hier geprüft wird, ob der Raum in Südhessen eine Baumaßnahme wie die Erweiterung des Frankfurter Flughafens verträgt, ob keine gravierenden Einschnitte in die Arbeits- und Wohnqualität, Gefahren für die Gesundheit oder gar des Lebens zu befürchten sind. Letztere gehen vom Flugverkehr tatsächlich in einem vor den Septemberereignissen für kaum möglich gehaltenen Maße aus. Der Betrieb wie auch die Ausbaupläne haben also in der Tat beträchtliche Auswirkungen auf die in unserem Raum lebenden 4 bis 5 Millionen Menschen. Es geht dabei nicht mehr „nur“ um die vielfach diskutierte drastische Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Umweltemissionen und Lärm, es geht auch nicht in erster Linie um die Gefahren eines Flugzeugabsturzes in unserer Umgebung, es geht mittlerweile um viel mehr, es geht um Gefahren, die das Leben von Millionen Menschen bedrohen.

Zivilflugzeuge wurden als fliegende Bomben eingesetzt und haben - abgesehen von der Tötung Tausender Menschen und der Vernichtung von Sachwerten in Höhe von 100 bis 150 Milliarden Euro – einen großen Schaden in der amerikanischen und den internationalen Weltwirtschaftsbeziehungen bewirkt. Sie haben die amerikanische Rezession zwar nicht bewirkt, ihren Durchbruch jedoch sicher beschleunigt. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse ist die Sicherheit des Flugverkehrs vollkommen neu zu überdenken. Solange die Ursachen und Bedingungen für vor aller Welt demonstrierten Gefahren nicht beseitigt sind - und es bestehen begründete Zweifel, ob sie kurz- oder mittelfristig beseitigt werden können -, ist an eine Ausweitung des Flugverkehrs nicht zu denken. Von der Bedrohungslage her müßte der Flugverkehr sogar drastisch eingeschränkt werden. Die Ereignisse des 11. Septembers fordern ein nachhaltiges Umdenken und eine grundsätzliche politische Strategie für das 21. Jahrhundert.

Ein derartiges Votum ist schwerlich von den Flughafenbetreibern zu erwarten. Lapidar hat die Fraport AG die Planungsunterlagen für das Raumordnungsverfahren nur um ein einziges Blatt ergänzt, auf dem kurz und bündig festgestellt wird: „Der sehr kurze Betrachtungszeitraum seit dem 11.09.2001 erlaubt keine Rückschlüsse auf die langfristige Entwicklung des Luftverkehrs. Aus diesem Grund wurden frühere Ereignisse, die sich nachteilig auf den Luftverkehr ausgewirkt haben, auf ihre langfristige Wirkung hin überprüft.“ Dennoch könne, so fahren die Betreiber von Deutschlands größtem Flughafen fort, als Ergebnis festgestellt werden, daß zwar „kurzfristig eine geringere Verkehrsnachfrage eintreten könnte. Im Rahmen eines Nachholeffektes wird es jedoch wieder zu einem Ausgleich kommen, so daß sich die langfristige Entwicklung wieder einstellt.“ Der Fraport-Vorstand geht davon aus, es habe sich bei den Ereignissen am 11. September in New York - ähnlich dem Flugzeugabsturz einer Concorde in Paris vor einem Jahr oder des begrenzten kriegerischen Konflikts mit dem Irak am Beginn der neunziger Jahre - um ein Ereignis ohne langfristige oder gar grundsätzliche Auswirkungen auf den Flugverkehr gehandelt. Diese Erwartungshaltung, bald wieder zur Normalität übergehen zu können, unterschätzt das tatsächliche Droh- und Gefahrenpotential, das heute vom Flugverkehr in der Welt ausgeht. Die Politik darf deshalb die Entscheidung über die weitere Entwicklung des Flugverkehrs nicht der Geschäftsführung eines mittelgroßen Unternehmens überlassen.

Die Situation ist so prekär, weil die Gefahrenrisiken des Flugverkehrs eine bisher unbekannte Dimension erlangt haben. Die Überlegungen zur Sicherheit im Flugverkehr konzentrierten sich lange Zeit in erster Linie auf die Sicherheit der Besatzungen und der Passagiere. Aus diesem Grund wurde in die technische Zuverlässigkeit des Fluggeräts und in die Souveränität seines Bedienungspersonals investiert und im Vergleich zu früheren Zeiten ein hoher Standard erreicht. Die immer noch zahlreichen Abstürze zeigen allerdings immer wieder die Grenzen dieser Bemühungen. Insgesamt ist das Flugzeug ein weitaus unsicheres Verkehrsmittel als die Eisenbahn und es ist auch - in Relation zu seiner Verkehrsleistung - weniger sicher als das Auto, obwohl dieses mit seinen 40.000 Verkehrstoten in Europa pro Jahr eine geradezu erschreckende Todesbilanz aufweist.

>Die ursprüngliche Sicherheitsphilosophie bezog sich nicht auf Flugzeugentführungen und nicht auf gezielte Sprengstoffanschläge wie etwa die Zerstörung eines Jumbo Jets der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm im Jahre 1983 über der schottischen Ortschaft Lockerby. Diese bedrohlichen Phänomene tauchten am Ende der sechziger Jahre im internationalen Flugverkehr auf. Um die Flugzeuginsassen vor diesem Gefahrenpotential zu schützen, wurde seit den frühen siebziger Jahren und in Deutschland besonders intensiv ab 1977 - im Gefolge der Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu - in Sicherheitstechnik und Sicherheitslogistik am Boden investiert. Auch dies mit begrenztem Erfolg, denn es ist nicht gelungen, Flugzeugentführungen grundsätzlich zu verhindern. Sie kommen immer noch in erheblicher Anzahl vor. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Sicherheitsmaßnahmen zielte in diesem Zusammenhang darauf, das Gepäck zusammen mit den Besitzern zu befördern, um Sprengstoffanschläge mit Kofferbomben zu verhindern. Diese Maßnahme beruhte auf der Annahme, potentielle Gewalttäter wollten den Anschlag überleben. Für diese Annahme existierte eigentlich nie ein plausibler Grund. Es gab zu allen Zeiten in der Geschichte Menschen, die für eine Idee ihr Leben aufs Spiel setzten und ihre Taten mit Todesverachtung begingen. Spätestens seit dem 11. September 2001 sind derartige Überlegungen für Sicherheitsvorkehrungen obsolet und ist die hypothetische Annahme durch die Praxis widerlegt. Damit fällt ein wichtiger Dominostein in der Sicherheitsmaßnahmen des Flugverkehrs. Die getroffenen Maßnahmen laufen ins Leere.

Die Sicherheitsstruktur des Flugverkehrs ist jedoch aus anderen Gründen zu überdenken. Der Einbruch im Sicherheitssystem betrifft nicht in erster Linie das erhöhte Risiko für Passagiere und Besatzung. Alle Verkehrsmittel sind mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Dem Flugverkehr haftet zwar ein besonders hohes Gefährdungspotential an, auf der anderen Seite haben wir uns jedoch auch an die jährlich 40.000 Verkehrstote im europäischen Straßenverkehrs gewöhnt, ohne bei einem Einstieg ins Auto auch nur eine Zehntelsekunde zu zögern. Weitaus gewichtiger sind die Konsequenzen, die aus den Ereignissen für die Sicherheit der Menschen am Boden zu ziehen sind. Statt der Sicherheit in den Flugzeugen ist mit Vorrang die Gefährdung durch die Flugzeuge zu überdenken. Bisher drehte sich die Diskussion in dieser Hinsicht um die Höhe des Absturzrisikos. In Relation zum Ausmaß des Flugverkehrs, den vielen Tausend Flugzeugen und ihren täglich nach Hunderten zählenden An- und Abflügen auf jedem größeren Flughafen wird das Risiko als relativ gering eingeschätzt. Trotz dieser Einschätzung wird die Kette von Abstürzen über bewohntes Gebiet immer länger: Amsterdam (1993), Rio de Janeiro (1999), Paris (2000), Berlin (2001), New York (2001). Die Einschätzung ist deshalb zurecht umstritten und nach jedem Absturzfiasko flammt die Diskussion erneut auf. Doch bei allem Unglück für die Betroffenen, bei allen Gefahren für die unter Einflugschneisen und Abflugrouten lebenden Menschen, stellt dieses Absturzrisiko keine grundsätzliche Gefahr für die Allgemeinheit dar. Ein Absturz erfolgt ungeplant, unbeabsichtigt und ungezielt. Ein Absturz betrifft Einzelne. Wie beim Autoverkehr sind wir so inhuman, daraus keine Konsequenzen zu ziehen und Beeinträchtigungen für das Gut der Verkehrsmobilität in Kauf zu nehmen. Die Gefahr, durch einen unbeabsichtigten Absturz zufällig hochsensible Anlagen zu zerstören, wird ebenfalls als sehr gering eingeschätzt.

Seit dem 11. September haben wir jedoch gegenüber dem Phänomen des unbeabsichtigten Absturzes eine grundsätzlich neue Situation: In die reale Welt ist der - von Science Fiction Autoren wie Tom Clancy seit Jahren antizipierte - gezielte Absturz getreten und das ändert alles. Durch den gezielten Absturz verwandelt sich ein Geschäfts- und Ferienflieger in eine hochexplosive Kerosinbombe, die wie eine Raketen exakt auf ein Ziel zusteuert. War das Risiko, bei einem unbeabsichtigten Absturz sensible Einrichtungen zu treffen gering, kehrt sich die Wahrscheinlichkeit nun um: Die Gefahr, ein Ziel zu verfehlen wird eher unwahrscheinlich, es zu treffen fast unvermeidbar. Katastrophenszenarien für neuralgische Punkte sind somit in erschreckendem Ausmaß als reale Bedrohungen zu denken. Die Dramatik liegt zudem darin, daß der Zusammenbruch aller getroffener Sicherheitsvorkehrungen und die Auslösung eines Supergaus mit einfachsten Mitteln gelang - dem Willen zur Tat, Entschlossenheit, ein Grundkurs zum Steuern von Flugzeugen, primitivste Waffen zum Überrumpeln der Passagiere und Todesverachtung. Diese Voraussetzungen sind wegen ihrer Einfachheit und ihrer geringen Kosten fast jederzeit reproduzierbar. Sie sind auch nicht an einen bestimmten Menschen oder eine besondere Menschengruppe gebunden. Die Bedingungen für die Umwandlung eines Geschäfts- oder Ferienfliegers in eine Rakete sind so einfach zu schaffen, daß sie jederzeit von Menschen aus den unterschiedlichsten Motiven und Beweggründen wiederholt werden können. Das Wissen um die Tat und ihre Voraussetzungen ist nicht geheim, sondern mehreren Milliarden Menschen bekannt. Die Wiederholung erfordert keine große Infrastruktur, keine aufwendigen technischen Systeme, kein Spezial- und kein Geheimwissen, kein Geld in nennenswerten Summen (für das Attentat auf das World Trade Center und das Pentagon wurden im gesamten nicht einmal 250.000 € investiert) oder bedeutende wirtschaftliche Resourcen und auch keinen großen Personalaufwand - nichts von alledem ist notwendig, um ein friedliches Verkehrssystem als Waffe gegen ganze Staaten zu richten. Weil es so einfach ist, die Tat zu wiederholen, wird die Sicherheitsstruktur des Flugverkehrs prekär. Von einem zivilen Transportsystem geht plötzlich das Gewalt- und Drohpotential einer Interkontinentalrakete. Sie ist jederzeit von nur wenigen Menschen in Gang zu setzen.

Die Dramatik liegt weiterhin darin, daß die Zerstörungskraft dieser Waffe gegenüber ihrem Einsatz in New York noch erheblich gesteigert werden kann. Nur die Achtung vor den Toten verbietet es, von einem „Warnschuß“ zu sprechen. Auch dies ist wiederum mit den denkbar einfachsten Mitteln möglich - indem das Ziel variiert wird. Weil der Flugverkehr den ganzen Globus umspannt und jeder Ort in kurzer Zeit erreicht wird, kann auch jeder Punkt der Welt mit dieser Waffe getroffen werden. Ein großes Flugzeug kann nicht nur zur Zerstörung großer Gebäudekomplexe eingesetzt werden, in dem sich zentrale Institutionen der Wirtschaft oder der Politik befinden, es kann auch auf noch sensiblere Anlagen gerichtet werden. Zielt es auf Anlagen, die selbst wiederum ein Zerstörungspotential in sich bergen, potenziert sich seine Zerstörungskraft zu einer Größe, die den Bestand eines Staates gefährden kann. Das hat es bisher in der Geschichte noch nicht gegeben, daß ein kleiner Kreis von Individuen ganze Staaten bedrohen und schädigen kann.

Dieses Untergangsszenario ist insbesondere bei einem Typ von Anlage zu denken, den Atomkraftwerken. Sie unterliegen den schärfsten Sicherheitsvorkehrungen, die Menschen bisher für „öffentliche“ Einrichtungen aufgewendet haben. Diese Sicherheitsmaßnahmen zielten neben der Verhinderung des Austritts von radioaktivem Material vor allem darauf, die bei einem Betrieb von Atomkraftwerken anfallenden Spaltprodukte in einem geschlossenen und überwachten Kreislauf zu halten, damit sie nicht von Unbefugten für den Bau von Kernwaffen verwendet werden können. Dabei ist zu berücksichtigten: Die Proliferation von kernwaffenfähigem Material konnte - trotz beeindruckender Sicherheitsvorkehrungen - nicht verhindert werden. Dennoch erforderte ein Atomwaffenprogramme die Infrastruktur eines ganzen Staates und fällt damit in den Bereich der internationalen Politik, dem gegenseitigen Ausbalancieren der Gewalten und der Hoffnung (mehr haben wir nicht) eines rationalen Umgangs mit dieser Gewalt.

Dieser Aufwand für ein erfolgreiches Atomwaffenprogramm, der zugleich eine Einhegung der Gefahr impliziert, ist seit dem 11. September 2001 nicht mehr nötig. Jede entschlossene Gruppe kann sich in den „faktischen“ Besitz von „Atombomben“ bringen und sie können in fast jedem Land „gezündet“ werden. Als Voraussetzung für die Umwandlung eines der mehreren hundert Atomkraftanlagen auf der Welt zur radioaktiven Bombe bedarf es lediglich der Metamorphose eines der rund zehntausend Ferienflieger zu einer Kerosinbombe. Wird sie auf ein Kernkraftwerk gelenkt, verwandelt sich das Elekrizitätswerk in eine ungeheure Strahlungsquelle, die große Mengen von Radioaktivität und strahlendem Staub freisetzt.

Die Konsequenzen sind leider vorstellbar. Sie sind seit 1986 - der Implosion eines Atomkraftwerkes bei Tschernobyl - jedem Menschen in der Welt bekannt. Ein ähnlicher Vorfall im Rhein-Main-Gebiet wird jedoch aufgrund der viel größeren Siedlungsdichte und der weitaus geringeren räumlichen Ausweichmöglichkeiten noch drastischere Konsequenzen haben. Tausende Strahlentote sofort, Millionen Menschen auf der Flucht in den Norden oder Süden, Hunderttausende auf Jahrzehnte dahinsiechende Strahlenopfer, die Auslöschung des Bundeslandes Hessen und ein riesiges Siedlungsloch in der Mitte Deutschlands. Es ist nicht abwegig, sich vorzustellen, daß die Folgelasten eines derartigen Ereignisses zum Zusammenbruch der BRD führen könnten. Die Kritiker der Anti-Atomkraftbewegung der siebziger und frühen achtziger Jahre haben sich stets über die Katastrophenszenarien, die bereits damals innerhalb der Bewegung kursierten, lustig gemacht. Damals wurde jedoch nur am Rande über Gefahr und Wahrscheinlichkeit eines ungeplanten Absturzes auf ein AKW diskutiert. Es wurde in der Hochphase des Atom-Kraftwerksbaus viel mehr befürchtet, der Aufbau derart sensibler Anlagen, berge so große Risiken in sich, daß sie auch mit einer sehr großen Sicherheitsstruktur kaum zu bändigen seien. Die Anlagen wurden nicht umsonst mit viel Beton, Wallanlagen, Gräben sowie gepanzerten und scharf bewachten Toren versehen. Alle diese Sperranlagen sind jedoch hinfällig, wenn der Tod aus der Luft kommt, meterdicke Betonmäntel zerstört und das strahlende Innere freilegt. Die Befürchtungen sind somit in einem erschreckenden Ausmaß real geworden. Es gibt nichts, was einen gelenkten Absturz auf ein deutsches AKW - z. B. Biblis - verhindern könnte, wenn ein aus vier, fünf oder sechs Personen bestehendes Kommando einen der vielen vom Flughafen Rhein-Main oder anderen deutschen Flughäfen startenden Großraumflugzeuge erst einmal übernommen hat. Wie einfach eine Übernahme gelingen kann, haben die vier gleichzeitigen Entführungen am 11. September gezeigt. Die Brisanz liegt somit in der möglichen Kombination zweier ziviler technischer Systeme, die einerseits dem Verkehr und andererseits der Energieerzeugung dienen. War das Risiko jedes einzelnen Teils für sich kalkulierbar, so schießt es bei ihrer kombinierten Zweckentfremdung dramatisch in die Höhe. Die erschreckenden Folgen sind kaum zu verhindern. Es ist erstaunlich, wie wenig diese drohende Gefahr bisher in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt ist – bzw. wie schnell die nach den Septemberereignissen kurz aufgeflammte Diskussion wieder beendet wurde und sich Politik wie Öffentlichkeit der Illusion hingibt, mit einer vagen militärischen Befriedung Afghanistans sei das Problem aus der Welt verschwunden. Das ist leider eine trügerische und insofern auch gefährliche Illusion.

Jedem, dem es gelingt, eine Handvoll Menschen für eine vergleichbare Zerstörungsphantasie zu begeistern, hat prinzipiell Zugang zu zahlreichen amerikanischen, europäischen, japanischen oder russischen Atomkraftanlagen. Es sind mehr als 20 allein in Deutschland. Diese Art von Atomwaffe hat - wie die Kerosinbombe - neben ihrer allgemeinen Verfügbarkeit einen weiteren großen Vorteil für kleine Kommandounternehmen: Sie benötigen keine große Infrastruktur, keinen Apparat, der Tausende von Menschen bindet, keine Wartung, keine Kosten und die Waffe ist mit ihrem Zerstörungspotential bereits vor Ort. Das Wissen um die Verwandlung von zivilen Ferienfliegern in zielgesteuerte zerstörerische Raketen und der Verwandlung von friedlichen Atomkraftwerken in Atombomben bleibt auch unabhängig von den derzeitigen militärischen „Erfolgen“ in der Welt. Eine kleinen Gruppe von einem oder zwei Dutzend Menschen irgendwo auf dem Globus reicht aus. Ihnen genügt der Wille zur Tat, um eine vergleichbare Aktion zu wiederholen.

Wie sehen vor dem Hintergrund dieses Befundes die Sicherheitsvorkehrungen der deutschen Flughäfen und des Rhein-Main-Flughafens im Zentrum unserer Region aus? Die getroffenen Maßnahmen sind im Vergleich zu den drohenden Gefahren vergleichsweise bescheiden. Es wurde die Durchleuchtung des Gepäcks intensiviert, die Passagiere konsequenter durch die Tore geführt, die elektromagnetisch auf eiserne Metallgegenstände am Körper aufmerksam machen. Es wird etwas intensiver auf die vielen tausend Beschäftigten geschaut, die mit den Flugzeugen zu tun haben. Außerdem sollen in Zukunft vermehrt sogenannte Skymarshals mitfliegen und einige Fluggesellschaften haben erklärt, die Türen zur Pilotenkanzel zu „panzern“ und zu verbarrikadieren.

Selbst geringe Kenntnis der technischen Maßnahmen und geringer Scharfsinn reichen aus, die Defizite aufzudecken. Eine konzentrierte Sichtung eines jeden Gepäckstückes würde so viel Zeit erfordern, daß nur noch ein Bruchteil der bisherigen Fluggäste bedient werden könnte. Die Zahl der Durchleuchtungsapparate und des dazu gehörigen Personals müßte sich vervielfachen. Selbst bei ausreichendem Personal und genügender Zeit arbeitet nicht jeder Kontrolleur stets sorgfältig und viele Gegenstände, die von den Anlagen durchleuchtet werden, sind als potentielle Waffen überhaupt nicht erkennbar. Die Tore reagieren nur auf Gegenstände, die aus Eisen bestehen: Aluminium- oder Steinmesser, Stichwaffen aus Glas, Keramik oder Hartplastik bleiben unerkannt. Ein Skymarshal, sowieso nur in einem Bruchteil der Flugzeuge vorhanden, stünde im Gefahrenmoment fünf, sechs oder mehr Attentätern gegenüber - und hätte wohl nur eine geringe Chance. In die „Panzerung“ der Cockpit-Tür sollte man kein allzu großes Vertrauen setzen, wenn die Wände ringsum aus Leichtmetall und Plastik bestehen. Mit einer echten Panzerwand oder gar separatem Zugang zur Pilotenkanzel würde das Flugzeug an Transport-Kapazität und das Fliegen an Attraktivität einbüßen. Hinzu kommt: Flugzeuge können auch aus anderen Staaten mit noch geringeren Sicherheitsvorkehrungen auf Ziele in Deutschland „gelenkt“ werden.

>Die diskutierten Maßnahmen, die sowieso nur teilweise umgesetzt wurden und seit Mitte Dezember sogar zum großen Teil wieder aufgehoben worden sind, halten einer Prüfung nicht stand. Es bleibt für entschlossene Entführer einfach - zu einfach -, ein Flugzeug in ihre Gewalt zu bekommen, weil Sicherheitslücken bei einem Massenverkehrsmittel aus strukturellen Gründen nicht zu verhindern sind. Weiterhin gibt es bei großen Gebäuden und Atomanlagen prinzipiell keinen Schutz gegen abstürzende Großverkehrsflugzeugen - das wurde in der kurzen und rasch zu Ende gegangenen Diskussion im Oktober und November vergangenen Jahres allgemein bestätigt. Somit sind die westlichen Gesellschaften seit dem 11. September extrem verwundbar geworden und die Weltöffentlichkeit kennt diese Verwundbarkeit. Damit läßt sich dieses Problem auch nicht durch einen „Sieg“ in Afghanistan aus der Welt schaffen. Auch nicht durch eine Unterwerfung des Irak oder Somalias. Es gibt zu viele Globalisierungsverlierer auf dieser Welt, in der arabischen Welt, in Nordafrika, in Teilen Asiens, die ein nahezu unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir und politischer Resonanzboden für Gruppen bilden, die mit Gewalt gegen das Elend, gegen Benachteiligung, gegen westliche Bevormundung vorgehen wollen. Doch zur Aktion wird gar keine große Bewegung benötigt, bereits eine kleine Gruppe reicht für eine Aktion aus. Es bedarf sehr wenig, um die Staaten der westlichen Gesellschaft in die Katastrophe zu führen. Der Flugverkehr stellt in dieser Hinsicht auf Jahrzehnte hinaus ein großes Sicherheitsrisiko für alle Staaten dar - insbesondere jedoch für die mit Atomanlagen.

Auch wenn es richtig ist, daß „ein absoluter Schutz nicht möglich ist“, so muß doch - angesichts der sehr realen Bedrohung - auf den größtmöglichen Schutz im Flugverkehr gedrungen werden. Die Sicherheitsstruktur des Kommunikationssystems Flugverkehr muß „gehärtet“ werden. Der Flugverkehr benötigt im Prinzip die gleichen Sicherheitsvorkehrungen wie ein Atomkraftwerk. Im Interesse der Sicherheit der Menschen in dieser Republik sind deshalb weitaus drastischere Maßnahmen zu treffen, als bisher vorgenommen oder diskutiert wurden.

  1. Sicherung aller Atomkraftwerke gegen Angriffe aus der Luft - etwa wie die Franzosen mit Luftabwehrraketen
  2. Sperrung des Luftraums im weiten Umkreis der Atomkraftanlagen für den zivilen Flugverkehr. Für die Bestimmung des Radius ist dabei die Geschwindigkeit der Flugzeuge zu berücksichtigen.
  3. Auf jedes in diesen Raum eindringendes Flugzeug muß sofort geschossen werden - denn Zeit für Nachfragen gibt es nicht.
  4. Der Flugverkehr ist zur Risikosenkung in seinen Dimensionen eher zu beschränken als auszuweiten. Der binnendeutsche Flugverkehr sollte ganz entfallen. Er kann auch problemlos auf landgebundene und sichere Verkehrsmittel verlagert werden. Zumal der sowieso geringe Zeitvorteil wegen der zeitaufwendigen Kontrollen weitgehend entfallen ist.
  5. Passagiere müssen auf Nichtmetallwaffen hin untersucht werden.
  6. Das Handgepäck ist im Interesse der Sicherheit vollständig zu untersagen.
  7. Die Sicherheitsvorkehrungen sind durch eine internationale politische Strategie zu ergänzen, die durch geeignete Maßnahmen darauf abzielt, die wirtschaftliche Situation der von der Globalisierung benachteiligten Ländern zu verbessern und insofern zur Befriedung dieser Regionen beiträgt.

Diese Maßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen werden den Flugverkehr drosseln - die wirtschaftlichen Nachteile daraus, sind angesichts der Bedrohung des Lebens von Millionen von Menschen hinzunehmen. An eine Rückkehr zu einem normalen Luftverkehr kann erst wieder gedacht werden, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet, ihr Stromanteil durch andere Energieträger substituiert worden ist und auch das strahlende Potential der Anlagen abgebaut wurde. Erst dann verliert das Kommunikationssystem Flugzeug sein derzeitig extrem hohes Gefahrenpotential. Die Transferzeit dürfte allerdings Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

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